RÜTHEN (dpa). Schmerzen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen oder Depressionen sind nur ein Teil der Beschwerden, die mit Krankheiten wie Krebs, Aids oder Multipler Sklerose (MS) einhergehen. "Das muss man nicht erleiden", sagt Dr. Franjo Grotenhermen von der "Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin". Täglich bekomme er Hilferufe von Patienten, die mehr über die Möglichkeit einer Cannabis-Therapie wissen wollten.
ine Heilung verspricht die Cannabis-Therapie nicht. Nach den Erfahrungen des Mediziners aus dem sauerländischen Rüthen lindert Cannabis bei vielen schweren und meist unheilbaren Krankheiten wie Krebs, Aids, MS jedoch einen Teil der Beschwerden.
"Schmerzen werden erträglicher, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen gehören bei vielen der Vergangenheit an. Und auch die depressive Stimmung vieler Kranker wird deutlich aufgehellt", sagt Grotenhermen. Das bestätigt Professor Joachim Nadstawek vom Berufsverband der Schmerztherapeuten. "MS- und Tumor-Patienten profitieren deutlich davon und gewinnen mehr Lebensqualität."
Aber noch ist Cannabis im Arzneikästchen die Ausnahme: In Deutschland gibt es nach Auskunft der Bonner Bundesopiumstelle lediglich 30 Patienten, die Cannabis-Blüten oder Extrakt zur Behandlung nutzen dürfen, die Zahl der Anträge habe aber deutlich zugenommen. Grundsätzlich sind Medikamente mit Cannabis-Bestandteilen als "nicht-verschreibungsfähige Betäubungsmittel" verboten. Es gebe aber viele subjektive Berichte von Patienten, denen Cannabis helfe, bestätigt Wilhelm Schinkel von der Bundesopiumstelle am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Medizin aus Hanfextrakt werde immer noch als Droge verteufelt, aber das scheint so langsam aufzuweichen, sagt Grotenhermen: "Die Bundesopiumstelle hat die Hürde für eine Medikation mit Cannabis-Medikamenten deutlich abgebaut." Seit kurzem würden Ärzte nicht mehr durch die Forderung nach einem Gutachten abgeschreckt, eine Cannabis-Therapie für ihre Patienten zu beantragen. "Jetzt wird nur noch ein normaler Arztbericht erwartet."
Doch viele Ärzte wüssten nichts von der Möglichkeit, ihren Patienten mit Cannabis zu helfen, sagt Nadstawek. "Die denken sofort an Drogensüchtige." Zudem gebe es immer noch Ärzte, die selbst eine Verschreibung des synthetisch hergestellten und erlaubten Cannabiswirkstoffs Dronabinol grundsätzlich ablehnen, bemängelt Grotenhermen. Auch dies werde viel zu wenig eingesetzt. "Die Kassen erstatten die Kosten nicht", sagte er.
Durchschnittlich müssten die Patienten 400 Euro im Monat für Dronabinol zahlen, falls ihr Arzt den Wirkstoff verschreibe. Deshalb versuchten Patienten, eine Ausnahme-Genehmigung für den preiswerteren Cannabis-Extrakt zu bekommen. Zudem gebe es Einzelfälle, in denen Dronabinol im Gegensatz zu Cannabis-Extrakt oder -Blüten keine Wirkung zeige, berichtet Grotenhermen.
"In Sachen Cannabis wird sich etwas tun", vermutet Wilhelm Schinkel von der Bundesopiumstelle. Es gebe mehrere Medikamente, für die eine Kassenzulassung beantragt werden soll. Laut Schmerztherapeut Nadstawek gibt es bei MS- und Tumorerkrankungen bereits eindeutige Studien. Cannabis-Präparate seien eine Alternative zu anderen starken Schmerzmitteln, die zum Teil schwere Nebenwirkungen haben.
Die von der Politik angeführte Suchtgefahr hält Nadstawek für nebensächlich. "Bei Tumorpatienten geht es darum, die Lebensqualität in der letzten Phase zu verbessern", sagt er. Zudem hätten die derzeit genutzten Opiate auch ein erhebliches Suchtpotenzial. Außerdem bricht der Schmerztherapeut eine andere Lanze für die Cannabis-Medizin: "Die Kassen würden sparen, weil man zum Teil auf teure Opiate und Medikamente zur Behandlung der Nebenwirkungen verzichten kann."
Nach Einschätzung Grotenhermens könnte eine aktuelle Studie zur Wirkung eines Cannabis-Präparates auf die MS-Symptome einen Damm für die Cannabis-Medizin brechen. 30 Prozent der MS-Patienten fühlten sich mit Cannabis besser. In der Kontrollgruppe, die ein Scheinmedikament (Placebo) erhielt, waren es nur 15 Prozent.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) sieht den Einsatz von Cannabis-Produkten jedoch kritisch. Der Cannabis-Einsatz sei nur im Einzelfall "nach Versagen zugelassener Medikamente und anderer denkbar wirksamer Arzneimittel" vertretbar. Zur aktuellen Studie gibt es noch keine Stellungnahme der DMSG.
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